Seit Wochen schon parkten drei große Safari-Trucks an der Laderampe der Nursery in Nairobi. Sobald die ersten Regentropfen in Tsavo fielen, sollten sie die fünf ältesten Waisen aus der Nursery in die Auswilderungsstationen nach Tsavo-Ost bringen. Dort beginnt ihre Reise zurück in die Wildnis, in einem großen Schutzgebiet, in dem es alles gibt, was ein Elefantenherz (und -magen) begehrt. Dieser Lebensabschnitt, in dem sie sich von ihren Keepern abnabeln, wird noch einmal fünf bis acht Jahre dauern, denn die die Entwicklungsphasen eines Elefantenlebens entsprechen weitestgehend dem von uns Menschen. Von unseren Nursery-Waisen waren fünf alt genug, um umgesiedelt zu werden, und außerdem wurde es in Anbetracht des großen Zulaufs an Elefantenwaisen (bedingt durch eine der schwersten Dürren in der Geschichte Kenias) nötig, wieder Platz in der Nursery zu schaffen.
Sobald uns die Nachricht erreichte, dass es in Tsavo regnete, wurde die Abfahrt für Mittwoch den 4. November angesetzt. Kenia und Shira sollten nach Voi gebracht werden, wo bereits Lesanjus Gruppe wartete, die sie alle schon aus der Nursery kennen. Enesoit, Meibai und Naimina, die Lesanju und Co. ohnehin nicht kennen, sollten nach Ithumba umgesiedelt werden. Da die Straßen in Nairobi tagsüber fast durchgehend verstopft sind, war die Abfahrt der Trucks noch vor der Morgendämmerung angesetzt.
Um 3.30 Uhr am Morgen des 4. November wurden die Waisen geweckt und mit ihrer Milchflasche an die Trucks gelockt. Nachdem sie schon einige Wochen Übung hinter sich hatten, verlief die Verladung der fünf Waisen so reibungslos wie keine vorher. Alle sind ohne zu Zögern über die Rampe gelaufen.Kenia und Shira al auch Enesoit und Naimina wurden jeweils gemeinsam in einem Lkw transportiert. Meibai, der größte Kandidat, wurde allein auf einen kleineren Anhänger verladen. Alle hatten natürlich einen Keeper bei sich, der ihnen auf der langen Reise Gesellschaft leistete und mit Milchflaschen und Grünfutter ausgerüstet war.
Trotz eines winzigen Zwischenfalls (der Truck, der mit Kenia und Shira beladen war, brauchte Starthilfe, weil die Batterie tot war) konnte die Reise pünktlich um 4.30 Uhr starten. Als die Trucks vom Gelände rollten, winkten ihnen alle Mitarbeiter der Nursery zum Abschied. Natürlich werden die Fünf von uns allen, aber besonders von ihren kleinen Elefantenfreunden, schmerzlich vermisst werden. Die Verantwortung für die Nursery-Waisen liegt nun auf Dida, die vor allem Kenia sehr nahe stand.
Um 7 Uhr hatte der Konvoi (angeführt von Robert Carr-Hartley und seinem Vater Roy im Landrover) bereits Salama auf der Hauptstraße zwischen Nairobi und Mombasa passiert und rollte in Richtung Kibwezi, wo Lionel Nutter, unser Projektleiter in Tsavo, die Lkws bereits erwartete, um Kenia und Shira zu den Voi-Stallungen zu bringen. In Kibwezi würden sich Robert und die Trucks mit Meibai, Enesoit und Naimina absetzen, auf der geteerten Hauptstraße nach Mombasa und weiter über die Piste nach Ithumba fahren. Ihre Route war weitaus anstrengender, heißer und länger als die von Kenia und Shira Die kamen schon um 11 Uhr an den Voi-Stallungen an und wurden von Tassia und Taveta begrüßt, die sie sofort wiedererkannten. Lesanju, Lempaute, Wasessa und Sinya brauchten eine Weile, bis sie Kenia wiedererkannt hatten, denn die war nicht mehr das winzig kleine Baby aus der Gruppe der Jüngsten in der Nursery. Trotzdem waren sie sehr interessiert an den Neuankömmlingen, die sich im Nu einrichteten, ihre erste Milchmahlzeit verschlangen und sich eine kalte Dusche gönnten. Dem Tag wurde durch ein ausgiebiges Schlammbad noch die Krone aufgesetzt, der sie zu guter Letzt in einen echten roten Tsavo-Elefanten verwandelte.
Das saftige Grün musste den Waisen aus Nairobi wie ein Schlaraffenland vorkommen, denn in der Nursery hatte es seit mehr als einem Jahr keinen ernstzunehmenden Niederschlag gegeben. Von den erfahrenen Elefanten begleitet, mischten sich Kenia und Shira einfach in die Gruppe und wirkten wie zwei Winzlinge. Ein Fakt, der ihnen die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der älteren Kühe einbrachte, die sie sofort bemutterten. Die drei kleinen Bullen Taveta, Tassia und der entspannte Shimba zeigten sich völlig unbeeindruckt vom Trubel um den Familienzuwachs.
Als Meibai, Enesoit und Naimina in Ithumba ankamen und die Lkws an die Laderampen fuhren, war Loijuk bereits vor Ort, um sie zu begrüßen. Loijuk wurde die neue Leitkuh der Ithumba-Waisen, die noch von den Keepern begleitet werden, nachdem Naserian in Yattas Gruppe der Ex-Waisen gewechselt war. Auch Sidai, Lualeni, Kora und Sian waren zur Stelle und die Begrüßung wurde nach verspieltem Beschnuppern immer überschwänglicher. Die drei Neuankömmlinge waren bei ihrer Ankunft in der Nursery schon alt genug gewesen, um sich an ihre Zeit als wilde Elefanten zu erinnern, so dass sie sich hier inmitten der älteren Waisen und im Wald mit endlos viel Grünfutter (nach ein paar heftigen Stürmen und Regenfällen) sofort pudelwohl fühlten.
Nachdem sie ihre Milch getrunken und ein kühlendes Schlammbad genommen hatten, wurden sie von Loijuk in den Busch hinter den Stallungen geführt, wo sie vom Rest der Gruppe stürmisch begrüßt wurden. Yatta, Wendi und die älteren Ex-Waisen tauchten auf einmal wie durch Zauberhand auf und hatten offenbar eine Vorahnung gehabt, dass etwas Aufregendes passieren würde. Enesoit, Meibai und Naimina fanden sich alsbald inmitten einer riesigen Herde älterer Elefanten wieder, die sie ausgiebig mit ihren Rüsseln berührten und mit Trompeten, Bellen und Urinieren begrüßten. Für die drei Jüngsten muss es der Himmel auf Erden gewesen sein, jetzt da sie über das Gröbste hinaus waren (man bedenke, dass Meibai bewusstlos in der Nursery angekommen war!).
Kurze Zeit später fraßen alle Dickhäuter glücklich und zufrieden zusammen in einer großen Herde. Selbst Mgeni, Yattas wilder Begleiter und ein paar seiner Freunde aus der Wildnis waren dabei. Meibai und Enesoit konnten vom saftigen Grünfutter in Ithumba nicht genug bekommen und schlugen sich den Bauch voll, bis sie fast zu platzen drohten. Als es Zeit war, zurück zu den Stallungen zu gehen, glichen ihre Bäuche kleinen Fässern, aber die drei waren satt und zufrieden. Loijuk schubste sie ins Innere des Stalls, während sich die (inzwischen wilden) Ex-Waisen, inklusive Naserian, draußen aufreihten und das Geschehen neugierig verfolgten. Loijuk zeigte den Neuzugängen auch, was es mit dem Elektrozaun um den Stall auf sich hatte, nämlich was passierte, wenn man dem Draht zu nahe kam, und sie schienen alle zu verstehen. Die meisten Ex-Waisen verabschiedeten sich, bis auf Nasalot, die sich die ganze Nacht nicht aus dem Stallgelände wegbewegte und ihre Augen nicht von drei neuen „Babies“ abwandte. Am frühen Morgen stand sie bereit um alle in den Busch hinaus zu führen. Meibai, Enesoit und Naimina wirkten in Ithumba in der Tat wie kleine „Babies“ und sie waren wie gemacht dafür, von den Älteren verhätschelt und geliebt zu werden. Der 4. November stellte sich also als ein sehr glücklicher Tag für fünf unserer Waisen aus der Nursery heraus. Für ihre vielen kleinen Freunde, die zurückblieben, war es ein besonders trauriger Tag und wir wünschten, wir könnten ihnen erklären, dass die Trennung nur vorübergehend ist und sie sich eines Tages alle wiedersehen und zusammen als große Elefantenherde in der Wildnis leben werden. Und dass die Keeper auch dann noch immer für sie da sein werden, wenn sie Hilfe brauchten.