Am späten Abend des 27. Juni fand unser Schlingfallen-Team ein einjähriges Kalb, das allein in der Nähe der Mombasa-Pipeline gegenüber der Ndara-Ebene im Nationalpark Tsavo Ost umher wandelte. Es war keine wilde Elefantenherde in Sichtweite, und da es in dieser Gegend außerdem eine Menge Löwen gab, wurden unsere Keeper in Voi sofort darüber informiert, dass das Kalb so schnell wie möglich gerettet werden müsse, da es eine weitere Nacht auf sich allein gestellt wahrscheinlich nicht überleben würde. Elefantenbabies, die beim Verwaisen noch jünger als drei Jahre alt sind, können ohne Zufütterung von Milch nicht überleben. Nur wenige schaffen es überhaupt, wenn sie im Alter von drei bis fünf Jahren von der Milch abgesetzt werden, weil die Mutter stirbt. In einer wilden Herde wird das Kalb dann normalerweise von einer anderen laktierenden Kuh mit durchgefüttert. Sobald das Baby dann jedoch schwächer wird, weil es nicht genug Milch bekommt und in diesem Zustand das Überleben der Herde gefährdet, muss die Leitkuh das Baby zugunsten dem Wohlergehen aller anderen Herdenmitglieder verstoßen. Es gibt nur sehr wenige (eher gar keine) Elefantenmutter, die mit ihrer Milch ihr eigenes Kalb und zusätzlich ein verwaistes Baby satt bekommen könnte, besonders in der harten Trockenzeit. Außerdem sind die eigenen Kälber der Kühe sehr besitzergreifend, was die Milch ihrer Mütter betrifft, so dass sie nur selten zum Teilen bereit sind – und sie können sehr harsch sein, wenn es gilt, dieses Vorrecht zu verteidigen.
Mit der Hilfe der KWS Ranger konnten unsere Voi-Keeper das verstoßene Kalb überwältigen. Den Kopf mit einer Decke behangen und die Beine zusammengebunden, wurde es in die Voi-Stallungen gebracht, wo es Wasser und ein wenig Milch aus einem Eimer trank. Am nächsten Morgen wurde es in die Nursery nach Nairobi geflogen. Nachdem sie anfänglich Sombe genannt wurde (nach dem KWS Sicherheitskommandeur), taufte man sie später um auf Melia, nach dem Afrikanischen Mahagonibaum Melia volkensi. Die Bäume sind in Ostafrika weit verbreitet und ein besonderes Merkmal der Region, in der sie gefunden wurde. Sie wurden seinerzeit von David Sheldrick um das Hauptquartier und die fünf Einfahrtstore zum Nationalpark Tsavo Ost gepflanzt.
Die kleine Melia war bei ihrer Ankunft in der Nursery recht kratzbürstig (ein gutes Zeichen) und hielt ihre Keeper während ihrer ersten Nacht im Stall neben Tassia ganz schön auf Trab. Sie trank Wasser und über Nacht auch ein wenig Milch aus der Flasche, allerdings nicht ohne Gezeter. Nachdem sie schließlich 24 Stunden im Stall zugebracht und das Verhalten der anderen Nursery-Waisen in Gegenwart ihrer Keeper ausgiebig beobachtet hatte, beruhigte sie sich, saugte schließlich auch am Finger der Keeper und trank die ihr angebotene Milch aus der Flasche.