Die unerwartete Ankunft mehrerer neuer Waisenelefanten im Februar in der Nursery machte den Umzug von vier der älteren Waisen in unsere Rehabilitationsgruppe in Voi, im Nationalparkt Tsavo-Ost, notwendig. Zuerst dachten wir, dass Ithumba wahrscheinlich die bessere Option sei, denn dort fallen erfahrungsgemäß mehr Niederschläge, so dass es Futter in Hülle und Fülle gibt. In Anbetracht unerwartet starker Regenfälle in Voi und der schlechten Beschaffenheit der Nairobi-Mombasa-Straße nach Ithumba änderten wir jedoch kurzfristig unsere Meinung. Außerdem standen die Voi-Stallungen seit der erfolgreichen Auswilderung aller 36 Bewohner vor 2 Jahren leer, und die Keeper dort warteten sehnsüchtig auf neue Aufgaben als die Pflege von Antilopen oder das Beobachten von Elefanten!
Joseph Sauni und seine Männer freuten sich sehr über die Nachricht und begannen sofort, die Stallungen für die Neuankömmlinge herzurichten. Für uns in der Nursery bedeutete dies einen sehr frühen Start um 4 Uhr morgens am 21. Februar 2009. Es blieb zu hoffen, dass alle Elefanten ohne Probleme verladen werden konnten, um das Verkehrschaos im morgendlichen Nairobi zu umgehen, das einen heutzutage mehrere Stunden aufhalten kann und die Reise für Mensch und Tier zu einer nervlichen Zerreißprobe macht!
Es blieben nur 4 Tage Zeit zum Üben des Auf- und Abgehens auf der Laderampe des Lkws, der wie jedes Mal im Gelände der Nursery geparkt wurde. Shimba und Siria zierten sich nicht lange, um schnell an ihre Milch zu kommen. Wasessa war schon ein skeptischer, aber auch sie stieg schließlich ein. Und Mzima rührte sich vorerst nicht mehr von der Stelle, denn nachdem Wasessa ihren Protest so lautstark kundgetan hatte als sie an der Reihe war, wurden die anderen natürlich umso vorsichtiger! Wasessa wurde zum schwersten Fall, den Robert Carr-Hartley und sein (noch weitaus mehr) erfahrener Vater Roy Carr-Hartley (der bisher bei allen Elefanten-Umzügen dabei war) jemals zu bewältigen hatten – schwer in Sachen Gewicht obendrein, denn sie war ein großes Kalb von 2 -½ Jahren mit Stoßzähnen von mehreren Zentimetern Länge. Trotz ihres Widerwillens und der Tatsache, dass sie ohne Weiteres alle Menschen um sich herum dem Erdboden hätte gleich machen können, wurde sie niemandem gegenüber aggressiv und ließ sich mittels großer Muskelkraft letzten Endes in den Truck verladen. Das zeugte wieder einmal von der sanftmütigen und toleranten Natur der Elefanten (trotz ihrer Größe) gegenüber denen, die sie lieben. Die Wagentür wurde schnell geschlossen, und einmal im Inneren des Trucks mit zwei Keepern an ihrer Seite, ergab sie ihrem Schicksal und beruhigte sich.
Siria war der Nächste, und nachdem er kurz vorher Wasessas lautstarken Einspruch gehört hatte, begab auch er sich nur widerwillig auf den zweiten Lkw. Allerdings war er schon wesentlich entgegenkommender. Nun war der friedfertige kleine Shimba an der Reihe, der es immer allen, denen er vertraut und die er liebt, Recht machen will. Und so bestieg er ohne Probleme die Rampe. Mzima war schließ der letzte Verbliebene draußen im Dunkeln und entschied, dass wohin Shimba geht, dahin geht auch er, denn wie heißt es so schön: „In der Not erkennt man seine wahren Freunde!“ Zum Erstaunen aller, stieg er (zwar als Letzter, aber sonst) ohne Probleme ein.
Es war bereits nach 5 Uhr als alle drei Lkws das Nursery-Gelände verließen. Alle Mitarbeiter winkten zum Abschied, und wieder einmal blieben sie mit sehr gemischten Gefühlen zurück. Alle Schützlinge gehen an einen schönen Ort, sie werden noch viele Jahr von ihren Keepern umsorgt werden müssen, sie alle brauchen noch ihre Milch, doch jetzt bekommen sie die Möglichkeit wilde Herden kennen zu lernen. Und langsam, ganz langsam werden sie sich in die wilde Elefantengemeinschaft eingliedern. Dieser Prozess wird noch etwa 8 bis 10 Jahre dauern. Trotzdem ist es immer wieder traurig für uns, sie aus unserem Alltagsleben hier in der Nursery zu verabschieden – Shimba war schon als kleines Baby bei uns und reiste nun mit seinen besten Freunden in sein neues Zuhause, mit Mzima, seinem Stallgefährten, Siria und Wasessa. Diese Freundschaft, die sich vor allem auf dem gleichen Schicksal – nämlich dem Verlust ihrer geliebten Familien – begründet, wird sie wohl ein Leben lang verbinden.
Die Straßenverhältnisse waren in der Tat eine Herausforderung, doch zumindest ein Teil war inzwischen durch die österreichische Firma Stabaag geteert worden und machte die Fahrt weitaus angenehmer. Gegen 13 Uhr verließen die Elefanten die Trucks in Richtung ihres neuen Lebensabschnittes auf dem Weg zurück dorthin, wo sie hingehören.
Nachdem sie von den Keepern in Empfang genommen wurden, bekamen sie ihre Milch, nahmen ein Schlammbad und anschließend die nähere Umgebung mit ihren Keepern in Augenschein. Robert und sein Vater Roy machten sich mit Joseph Sauni auf die Suche nach Emilys Gruppe, um zu filmen, wie sich die kleine Eve, die vor 2 Monaten in der Wildnis geboren war, inzwischen entwickelt hatte. Sie fanden Emily und ihre Herde mitsamt dem Baby gleich hinter Mazinga Hill, ca. 7 Kilometer von den Stallungen entfernt. Die kleine Eve genoss immer noch die ungeteilte Aufmerksamkeit aller verwaisten „Aufpasser“, vor allem von Edie und Sweet Sally. Sie verfolgen das Baby auf Schritt und Tritt. Die kleine Eve braucht nur ihre Ohren aufzustellen und die beiden Aufpasserinnen sind sofort zur Stelle, eine auf jeder Seite, um sie zu ihrer Mutter zurückzutreiben. Die ist vollkommen entspannt, weil überzeugt, dass ihr Baby wahrscheinlich der am meisten verwöhnte kleine Elefant auf der Erde ist. Eve hat eine eigene Herde an Aufpassern, von den beiden Haupt-Kindermädchen einmal abgesehen, so auch Laikipia, der älteste und größte Bulle in Emilys Gruppe. Auf ihn ist Verlass, dass alle potentiellen „Baby-Fänger“ von der Gruppe ferngehalten werden. Was solch einem Kandidaten passieren kann, wurde im Januar 2009 von den Keepern dokumentiert. Die wilde Kuh aus Lissas Gruppe zog damals nicht nur den Groll von Emily auf sich, sondern auch von allen anderen Aufpassern. Schließlich wurde sie noch von Laikipia bestiegen, um diesen Triumph zu besiegeln.
Zurück in den Stallungen: es war Samstag Abend, die erste Nacht, die die 4 Neuankömmlinge zusammen in ihrem neuen Zuhause verbringen sollten, dass über die Jahre so viel Elefantengeschichte miterlebt hat. Ein Löwe brüllte nicht weit entfernt und erschreckte sie. Joseph Sauni und seine Kollegen, die die Nachtschicht beim Milchfüttern übernahmen, schliefen jedoch gleich in der Nähe und waren schnell zur Stelle, um Trost zu spenden und die Nerven zu beruhigen. Wir sind uns sicher, dass es nicht lange dauern wird, dass Emily und ihre Gruppe zurückkommen, um sich den Neuzugängen vorzustellen. Und Wasessa wird bald verstehen, dass sie eigentlich nach Hause zurück gekommen ist, denn sie wurde als Waise direkt hinter Irima Hill gefunden, also nicht weit von den Voi-Stallungen entfernt. Sie hatte damals viel Glück, dass sie nicht den Löwen zum Opfer gefallen war, die lediglich von einem fremden Bullen in Schach gehalten wurden, dem sie sich kurzerhand angeschlossen hatte, bis das Rettungsteam eintraf. Spätestens im Mai werden wir dann auch ihre Freunde Sinya, Lempaute und Lesanju nachholen, vorausgesetzt, dass die Nursery vorher nicht weiter überfüllt wird.